Dieses Projekt steht im Kontext der Diskussion über die Entwicklung sozialer Ungleichheitsstrukturen im Nachkriegsdeutschland. Etwas vereinfacht können hier zwei Hauptargumentationslinien unterschieden werden. Erstens, die Individualisierungsthese, die postuliert, dass die klassischen hierarchischen Ungleichheitsmerkmale infolge gesamtgesellschaftlicher Modernisierungsprozessen in der gesellschaftlichen und individuellen Wahrnehmung und damit auch für die individuellen Handlungsorientierungen an Distinktionskraft verloren haben und durch andere ‘vertikale’ Distinktionsmerkmale ersetzt werden. Dieser Prozess soll dazu führen, dass die traditionellen Ungleichheitskriterien Bildungsniveau und beruflich-soziale Position für die Herausbildung von sozialen Verkehrskreisen immer weniger wichtig werden, d.h. es wird eine Entstrukturierung der Gesellschaft erwartet. Zweitens, eine Art ‘Rigidisierungsthese’, die im Wesentlichen aufgrund empirischer Befunde argumentiert, dass die gesellschaftlichen Strukturierungsmerkmale nach wie vor durch die klassischen hierarchischen Ungleichheitsmerkmale bestimmt werden, wobei sich existierende Strukturen tendenziell eher verfestigen als abschwächen.
In dieser Studie wird die Frage ‘Entstrukturierung’ versus ‘Rigidisierung’ am Beispiel von bildungs- und berufsspezifischen Heiratsbeziehungen untersucht. Die grundlegende Annahme hierbei ist, dass die Ehe und Familie (nach wie vor) einen verbindlicheren Charakter und weitreichendere Auswirkungen in Hinblick auf die langfristige Reproduktion von sozialer Ungleichheit haben (insofern sie den sozialen und institutionellen Rahmen für die Sozialisation der nachwachsenden Generationen bilden) wie auch auf die Lebensgestaltung haben als andere Formen sozialer Interaktion, wie z.B. Nachbarschafts-, Bekanntschafts- oder Freundschaftsbeziehungen und daher ein härterer Indikator für Öffnung oder Schließungsprozesse sind als andere Formen sozialer Interaktion.
Als zentraler Befund der verschiedenen bildungsspezifischen Analysen ist festzuhalten, dass die vorliegenden Ergebnisse insbesondere für Westdeutschland in eindeutiger Weise der These einer sozialen Annäherung (Entstrukturierungsthese) zwischen den Angehörigen verschiedener Bildungsgruppen widersprechen. Die Analyse der relativen Homogamieraten als maßgeblicher Indikator für Öffnungs- oder Schließungsprozesse zeigt, dass die Neigung, Partner mit dem gleichen formalen Bildungsabschluss zu heiraten, das die Heiratsbeziehungen dominierende Muster darstellt und sich hieran über die Kohorten hinweg kaum etwas verändert. Die stärkste Schließung findet sich bei der privilegiertesten Bildungsgruppe, den Akademikern, und der am wenigsten privilegierten Bildungsgruppe, den Hauptschulabsolventen ohne berufliche Ausbildung. Am oberen und unteren Ende der Bildungsskala ist demnach eine Kumulierung der jeweils hohen bzw. niedrigen sozio-kulturellen und ökonomischen Ressourcen von Männern und Frauen zu beobachten.
In Bezug auf klassenspezifischen Heiratsbeziehungen ist festzustellen, dass diese ein ähnliches Muster der sozialen Durchlässigkeit aufweisen wie intergenerationale Mobilitätsprozesse. Charakteristisch hierfür ist zum einen die starke Konzentration der Heiratsbeziehungen auf Partner der eigenen Klassenzugehörigkeit. Diese tritt - ähnlich wie in Studien zur intergenerationalen Mobilität belegt - am deutlichsten bei den Dienstklassenangehörigen und den traditionellen Arbeiterklassen zutage. Zum anderen sind die Heiratsbeziehungen durch eine massive Blockbildung gekennzeichnet: Angehörige des ‘white-collar’ Blocks heiraten ebenso vorwiegend untereinander, wie dies Angehörige des ‘blue-collar’ Blocks tun. Entgegen der weitverbreiteten Vermutung, dass ein Durchbrechen dieser traditionellen ‘Kragengrenze’, wenn nicht in großem Maßstab, so doch hinsichtlich der Heiratsbeziehungen zwischen Facharbeitern und Frauen in Angestelltenpositionen zu erwarten ist, zeigt sich unter Kontrolle der Klassenverteilungen von Männern und Frauen keine erhöhte positive Affinität zwischen diesen beiden Gruppen. Auch wenn die Bedingtheit zwischen Bildungsniveau und Klassenposition kontrolliert wird, ist eine klare Klassendimension in den Heiratsbeziehungen zu beobachten. Diese äußert sich insbesondere in der weiterhin starken Separierung der Heiratskreise in einen manuellen und nicht-manuellen Block.
Projektstatus:
Abgeschlossen
Wirth, Heike, 2000: Bildung, Klassenlage und Partnerwahl: Eine empirische Analyse zum Wandel der bildungs- und klassenspezifischen Heiratsmuster. Opladen: Leske + Budrich.
Wirth, Heike, 2000: Selektive soziale Interaktion. Klassenspezifische Heiratsmuster in Westdeutschland. In: Wirtschaft und Statistik (9): 696 - 708.
Wirth, Heike & Lüttinger, Paul, 1998: Klassenspezifische Heiratsbeziehungen im Wandel? Die Klassenzugehörigkeit von Ehepartnern 1970 und 1993. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 50 (1): 47-77.
Wirth, Heike, 1996: Wer heiratet wen? Die Entwicklung bildungsspezifischer Heiratsmuster in Westdeutschland. Zeitschrift für Soziologie 25 (5): 371-394.